„Generation Winter“ – Skilegende Annemarie Moser-Pröll
Die Jahrhundertsportlerin aus Kleinarl zählt bis heute zu den drei besten Skifahrerinnen aller ZeitenIm Jänner 1968 – zwei Monate vor ihrem 15. Geburtstag – bestritt Annemarie Moser-Pröll ihr erstes Weltcup-Rennen. Bei der Abfahrt des Silberkrugrennens in Bad Gastein landete die junge Kleinarlerin auf dem letzten Platz, doch schon zwei Jahre später holte sie den ersten Platz im Riesenslalom in Maribor: Dieser erste Weltcupsieg zählt – neben Olympia-Gold in Lake Placid zehn Jahre später – zu ihren schönsten Top-Platzierungen, wie sie selbst betont. Annemarie Moser-Pröll ist Österreichs Sportlerin des Jahrhunderts und Trägerin des Großen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich: Mit einer Bilanz von 62 Weltcupsiegen wurde die sechsfache Gesamtweltcupsiegerin und fünffache Weltmeisterin bis heute lediglich von Lindsey Vonn und Michaela Shiffrin überflügelt. Sie hat Generationen von Skifahrerinnen und Skifahrern im In- und Ausland beeindruckt und inspiriert.
Am Ortseingang von Kleinarl und vor der mächtigen Ennskraxn im Hintergrund verweist eine stilisierte Weltcupkugel auf die schier unglaubliche Karriere von Annemarie Moser-Pröll: Mit ihren Erfolgen als Skirennläuferin hat die berühmte Tochter des Ortes die Gemeinde Kleinarl, die nicht einmal 1.000 Einwohner zählt, während der 1970er Jahre weltweit bekannt gemacht. Diese Berühmtheit hält bis heute an. Noch immer wird Annemarie Moser-Pröll beim Skifahren oder Wandern erkannt und angesprochen: Gäste und Einheimische freuen sich über ein kurzes Gespräch oder ein Selfie mit der Skilegende. Für die Kleinarlerin nach wie vor überraschend, aber auch eine große Freude. Sie, die 1953 hier geboren wurde und mit ihren Geschwistern auf dem elterlichen Bergbauernhof aufgewachsen war, blieb ihrem Heimatort ein Leben lang treu. Nach ihrem Karriereende 1980 betrieb sie gemeinsam mit ihrem Mann Herbert, der 2008 verstarb, ein Kaffeehaus in Kleinarl. Heute lebt sie mit Tochter und Enkelsohn in ihrem Geburtsort.
Eine unglaubliche Karriere: Vom Bergbauernhof zu 62 Weltcupsiegen
Schon als kleines Mädchen ist Annemarie Moser-Pröll fasziniert vom Skifahren: Mit den alten Brettern ihres größeren Bruders saust sie die verschneiten Hänge in Kleinarl hinab, meist unterwegs mit anderen Buben, allen voran die „Dertnig-Brüder“, denen sie vieles verdankt. Kein Hang ist zu steil, kein Gelände zu herausfordernd! Richtiggehend selig sei sie beim Skifahren gewesen, sagt sie, und das Talent habe sie wohl von der Mutter geerbt, die in jungen Jahren eine gute Skifahrerin gewesen sein soll, auch wenn wenige Worte darüber verloren wurden. Als Annemarie Anfang der 1960er Jahre als Mädchen bei einem Skirennen in St. Johann im Zielraum steht und den Athleten zujubelt, weiß sie: „Genau das will ich auch.“
Zu dieser Zeit gibt es in Kleinarl gerade einmal fünf Autos: Der Traum von einer Skirennkarriere gleicht mehr einer Utopie als einem realistischen Unterfangen. Doch Annemarie setzt all ihren Willen und Ehrgeiz ein, um ihre Ambitionen umzusetzen. Als Zwölfjährige fährt sie ihr erstes Bezirksrennen, mit 14 Jahren das erste Landesrennen. Die Kurse des Landeskaders müssen selbst bezahlt werden, aber die Eltern, so Annemarie Moser-Pröll, verfügten über Weitblick und haben sie immer ziehen lassen.
Vom Zufall und dem Glück der Fleißigen
Beim Sommertraining 1968 am Kapruner Kitzsteinhorn-Gletscher trifft Annemarie Moser-Pröll auf die Olympiasiegerin und zweifache Weltmeisterin Christl Haas aus Tirol. Als Haas Annemarie nach ihren Plänen und Zielen fragt, antwortet diese: „Weltmeisterin werden!“ und erhält von Christl Haas zur Antwort: „Dirndl, weißt du, was das für ein weiter Weg ist?“
Ein Satz, den sie sich eingeprägt hat und abrufen kann, als wäre es gestern gewesen: Annemarie wird diesen weiten Weg in Kauf nehmen – fraglos. Genau in jenem Sommer wird sie – wie es der Zufall will – von Prof. Franz Hoppichler beim Training beobachtet und entdeckt. Ab diesem Zeitpunkt ist sie als jüngstes Mitglied im Nationalteam des Österreichischen Skiverbandes. 1971, gerade einmal 18 Jahre alt, besitzt sie ihr eigenes Auto: „Kaprun und das Kitzsteinhorn“, sagt sie, „waren meine zweite Heimat.“ 1973 heiratet sie ihren Mann Herbert, 1975 pausiert sie für ein Jahr, um ihren kranken Vater zu pflegen.
Bis zum Saisonende 1978/79 gewinnt die Kleinarlerin sechsmal den Weltcupgesamtsieg, was Niki Lauda dazu veranlasst, sie im Lear Jet nach Salzburg zu fliegen, wo ihr ein ehrenvoller Empfang bereitet wird. Im Jahr darauf holt sie Olympia-Gold, mit dem sie ihre zehnjährige Karriere krönt und beendet.
„Es war eine schöne Zeit – nichts davon möchte ich missen“
Heute sagt Annemarie Moser-Pröll: „Ich habe durch das Skifahren viel fürs Leben gelernt. Den Fleiß haben mir meine Eltern mitgegeben. Aber es braucht auch Ehrgeiz und Zielstrebigkeit, um seine Ziele zu erreichen. Talent alleine reicht nicht aus.“ Annemarie Moser-Pröll blickt stolz und versöhnt auf ihre Karriere zurück, auch wenn sie heute sagt: „Ich war so jung und habe vieles nicht verstanden.“
Vor allem der Umgang mit der Presse fiel ihr schwer, manchmal hätte sie sich einen Manager gewünscht. Medientraining oder Unterstützung bei der Verhandlung mit Sponsoren gab es dazumal nicht. „Wir haben uns alles erarbeitet und erfahren. Darauf konnten wir in unserer Generation wirklich stolz sein“, sagt sie. „Zumindest haben wir mit dem Skifahren so viel verdient, dass wir uns eine Existenz aufbauen konnten.“
Es war kein Verzicht, sondern eine Bereicherung
Das viele Training, die Entbehrungen – all das hat Annemarie Moser-Pröll nie als Verzicht empfunden. Sie kannte die Angst vorm Start – begleitet von Alpträumen in den Nächten davor – und Tränen beim Berglauf im Sommer: All das hat sie geprägt, aber auch zu ihrer unvergleichlichen Karriere beigetragen. Je besser das Material wurde, umso straffer wurde ihr Training: Schwere Ski mit Bleieinlagen erforderten mehr Kraft. Das hat Annemarie Moser-Pröll mit noch härterem Training quittiert. So hat sie sich von Jahr zu Jahr gesteigert und sich an der Spitze gehalten.
Noch heute – 43 Jahre nach ihrem Karriereende – steht die Ausnahmesportlerin gerne auf Ski: Man trifft sie in Snow Space Salzburg, Wagrain-Kleinarl und Flachauwinkl-Zauchensee beim Pistenskifahren an, ebenso beim Skitourengehen. Kondition und Training sind ihr bis heute wichtig. Als Legende fühlt sie sich nicht. „Ich wundere mich eher drüber, dass ich nach wie vor erkannt werde“, schmunzelt sie und freut sich über jeden, der sie anspricht.